Du kannst die Straße überqueren. Alle weichen aus. Es sei denn, es ist ein Bus.
Das versicherte mir ein Mann in Saigon. Die Einheimischen wissen, dass es keinen günstigen Moment gibt, die Straße zu überqueren. Daher gehen sie einfach los. “I survived Saigon traffic”, las ich auf einem T-Shirt. “Ich habe den Verkehr von Saigon überlebt.” Das T-Shirt habe ich nicht gekauft, aber ich habe überlebt.
In Saigon leben rund neun Millionen Menschen. Und die düsen auf etwa sieben Millionen knatternden Mopeds durch die Stadt. Vermutlich kommen noch einige hunderttausend nicht registrierte Zweiräder dazu. Nach einer Stunde hat man sich an den Lärm gewöhnt und abends zurück an Bord wundert man sich, wie leise alles ist.
Ich habe Saigon zum ersten Mal im November 2009 mit AIDA besucht. Damals fand ich es noch lustig, dass die AIDA-Biker es wie die locals machten und mit Mund-Nasen-Schutz durch die Stadt fuhren. Denen ging es darum, sich vor den Abgasen zu schützen. Ich hätte mich im Ben Thanh Markt gleich mit ein paar Masken eindecken sollen. Es waren zwar keine FFP2-Masken, dafür waren sie von Gucci und Versace. Das stand zumindest drauf.
Bis heute ist Saigon einer der exotischsten Orte, die ich mit einem Kreuzfahrtschiff besucht habe. Die Bilder, die ich vor meiner Ankunft im Kopf hatte, sah ich kaum nach Verlassen des Hafens bestätigt. Dazu gehörten die maximal beladenen Zweiräder: Vierköpfige Familien finden auf einem Moped ebenso Platz wie Sessel und Schränke. Und wer sich zwischendurch vom Stadtverkehr erholen mag, macht es sich kurz auf seinem Zweirad gemütlich.
Saigon oder Ho-Chi-Minh-Stadt?
Bis Mitte der 1970er Jahre hieß die Stadt offiziell Saigon. Dann wurde sie zu Ehren des Revolutionsführers und ehemaligen nordvietnamesischen Staatschefs Ho Chi Minh umbenannt. Der frühere Name ist aber noch immer geläufig. Das Kürzel des Flughafens ist beispielsweise SGN und auf dem Stempel der Post steht “Saigon”.
Vietnam blickt auf eine sehr bewegte Geschichte zurück. Rund 100 Jahre war das Land Teil des französischen Kolonialreichs. (1863 – 1954) Aus dieser Zeit sind noch einige Gebäude erhalten. Die Kathedrale Notre Dame zum Beispiel, die mit Backsteinen aus Marseille gefertigt wurde. Oder die Hauptpost, deren Eisenkonstruktion aus der Pariser Manufaktur von Gustave Eiffel stammt.
Einen Herrn trifft man in der Post fast immer: Duong Van Ngo. Meist sitzt er inmitten der Halle und liest. Oder er schreibt etwas. Duong Van Ngo übersetzt Briefe und Urkunden ins Englische und Französische. Über vierzig Jahre war er bei der Post angestellt. Als der Mann pensioniert wurde, konnte er es nicht lassen und fuhr weiterhin täglich ins Postamt. Übrigens mit dem Fahrrad, nicht mit dem Moped!
Bei einem meiner letzten Besuche habe ich Duong Van Ngo erzählt, dass in Deutschland hin und wieder über ihn berichtet wird. (Einen Beitrag können Sie beispielsweise hier finden.) Ich sagte ihm, dass ich so ein großer Fan von ihm bin, dass ich in meinem Vortrag auf der Mein Schiff von ihm geschwärmt habe. Er blickte mich überrascht an. “Maintenant, je comprends” – “Jetzt verstehe ich”, sagte er, “warum mich heute 200 lächelnde Deutsche besucht haben.” Ich musste lachen. Und Duong Van Ngo schien es auch mit Humor zu nehmen.
Ich hätte mir ein paar Worte von ihm ins Vietnamesische übersetzen lassen sollen. Denn wenn ich mich nicht irre, müsste der Herr Anfang März seinen 91. Geburtstag feiern. Ich hoffe, er ist noch immer so gesund und zufrieden, wie er damals wirkte.
“Bon anniversaire – Herzlichen Glückwunsch, Herr Duong Van Ngo”